ABA ist in der Schweiz derzeit keine staatlich anerkannte Leistungsdisziplin. Sie wird hauptsächlich im Bereich der EIBI (Early Intensive Behavioral Intervention) bei Kindern mit ASD (Autismus-Spektrum-Störung) und/oder bei Kindern, Jugendlichen oder Erwachsenen mit ASD und anderen Entwicklungs- oder Verhaltensstörungen angewendet. Unseres Wissens gibt es keine Dienste in den anderen Bereichen der ABA (siehe auch ABA-Praxis). Heute gibt es eine kleine Anzahl von BCBA(Board Certified Behaviour Analysts), die in der Schweiz arbeiten (siehe Praktiker). Gegenwärtig arbeiten alle Praktiker in der Schweiz entweder privat oder rechnen ihre Leistungen über einen anderen Beruf ab (z.B. medizinische/psychologische Dienste, Sonderpädagogik, Logopädie). Es gibt zwei Zentren, die EIBI-Dienste für Kinder mit Autismus anbieten: ATZZ Zürich und OVA (siehe auch Anbieter).

 

Der folgende Text ist eine Zusammenfassung von zitierten Passagen aus dem Artikel "Implementation of early intensive behavioural intervention for children with autism in Switzerland" von Nadja Studer et al. (2017), den Sie hier finden:

Dienste für Kinder mit Autismus in der Schweiz
Die Gesundheitsdienste in der Schweiz werden von öffentlichen Kliniken und Spitälern sowie von privaten Ärzten und Krankenhäusern erbracht.
Alle 8 Millionen Einwohner der Schweiz sind obligatorisch krankenversichert. Die Dienste für Kinder mit Behinderungen sind im öffentlichen Sektor der verschiedenen Kantone des Landes organisiert. Das Screening auf Autismus im Rahmen der pädiatrischen Routineuntersuchungen in der frühen Kindheit ist in der Schweiz kein Standardverfahren.
Leider fehlt vielen Kinderärzten das Fachwissen, um die frühen Anzeichen von Autismus zu erkennen, und sie raten Eltern, die sich Sorgen um die Entwicklung ihres Kindes machen, oft, abzuwarten und zu sehen, wie sich das Kind entwickelt. Dies kann dazu führen, dass die Diagnose und die Intervention bei Kindern mit Autismus recht spät erfolgen.

[...] In der Schweiz gibt es nur sehr wenige spezialisierte Interventionen für Kinder mit einer frühen Diagnose. Das Angebot für Kinder mit Autismus hängt stark davon ab, wo die Familie lebt. Die Behandlung für ein Kind im Vorschulalter besteht in der Regel aus einer Stunde pro Woche Frühförderung.
erziehung. In einigen wenigen Regionen werden bis zu drei Stunden pro Woche an sonderpädagogischer Frühförderung gewährt. Darüber hinaus werden eine oder zwei Stunden pro Woche Logopädie und manchmal eine zusätzliche Stunde Beschäftigungstherapie zusätzlich zu der Stunde Sonderpädagogik angeboten. Die meisten der Fachkräfte, die diese Maßnahmen anbieten, haben wenig bis gar keine Erfahrung in der Arbeit mit Kindern auf dem Autismus-Spektrum. Diejenigen Fachleute, die über Erfahrung verfügen, können in der Regel keine neuen Klienten aufnehmen, da sie lange Wartelisten haben. Laut dem jüngsten elternbasierten Bericht erhalten sowohl Kinder im Vorschul- als auch im Schulalter mit Autismus nicht-spezifische Behandlungen wie Logopädie und Beschäftigungstherapie, da diese Behandlungen von den Krankenkassen übernommen werden.

[...] In der Schweiz sind die Fachleute, die EIBI anbieten, mit Missverständnissen und Mythen konfrontiert, die denen ähneln, die in den jüngsten Berichten über die Situation in anderen europäischen Ländern und den USA erwähnt werden. ABA ist nicht als Wissenschaft bekannt, sondern nur als eine Form der intensiven Frühintervention für autistische Kinder. ABA wird immer noch als gleichwertig mit diskretem Probeunterricht angesehen und von vielen Fachleuten nicht akzeptiert. Nur sehr wenige Fachleute, die mit autistischen Kleinkindern arbeiten, haben eine Ausbildung in ABA. In den Schulen wird ABA nur in sehr geringem Umfang eingesetzt. Die meisten auf Autismus spezialisierten Fachkräfte haben eine Ausbildung in TEACCH und dem so genannten Affolter-Modell®. Letzteres wurde in der Schweiz entwickelt und basiert auf der Idee, dass Autismus das Ergebnis eines neuropsychologischen Problems der Wahrnehmung ist. Es wird fast ausschließlich in der Schweiz angewandt. In der Deutschschweiz gibt es nur eine einzige spezialisierte Schule für autistische Kinder. Auch diese Schule arbeitet nicht mit ABA und hat keinen Mitarbeiter oder Supervisor, der als Board Certified Behavior Analyst (BCBA) oder Board Certified Assistant Behavior Analyst (BCaBA) ausgebildet ist. Das Picture Exchange Communication System (PECS), eine verhaltenstherapeutische Intervention, wird jedoch von einigen Sonderschullehrern in den Klassenzimmern eingesetzt und wird manchmal von Frühförderern und Sprachpathologen verwendet. Es gibt nur zwei zertifizierte PECS-Umsetzer im Land, und beide sind weder BCBAs noch nicht zertifizierte Verhaltensanalytiker. Die anderen Fachleute, die den PECS-Grundkurs absolviert haben, verfügen ebenfalls nicht über vertiefte Kenntnisse der ABA. Da viele Fachleute, die PECS in der Schweiz anwenden, einen anderen theoretischen Hintergrund haben, wenden sie PECS oft nicht so an, wie es ein ausgebildeter Verhaltensanalytiker tun würde. PECS wird oft mit TEACCH verwechselt und wird verwendet, um die rezeptiven Sprachfähigkeiten des Kindes zu fördern oder um über den Tag des Kindes zu sprechen. Eine systematische Datenerfassung wird nur selten durchgeführt, und die Fertigkeiten im systematischen Ausblenden von Souffleuren sind oft unzureichend, so dass viele Kinder von Souffleuren abhängig sind und ohne eine wirksame Form der Kommunikation dastehen.

[...] Im Februar 2016 lebten nur acht BCBAs in der Schweiz und eine kleine Anzahl von BCBAs lebte entweder im nahen Deutschland oder Frankreich und arbeitete mit Familien in der Schweiz.

[...] Das Bundesamt für Sozialversicherungen hat sechs Zentren in der Schweiz ausgewählt, die eine intensive Frühförderung anbieten. Nicht alle Ansätze sind verhaltenstherapeutisch, zwei sind nicht verhaltenstherapeutisch. In
zwei der Zentren sind BCBAs an der Planung und Durchführung der Intensivintervention beteiligt. In den anderen Zentren sind Psychiater, klinische Psychologen, Sonderpädagogen, Sprachpathologen und Beschäftigungstherapeuten für die intensive Frühförderung zuständig.

[...] Somit müssen alle Familien, die in den anderen Kantonen leben, mehr als die Hälfte der Kosten für die intensive Frühförderung selbst tragen. Die Leistungserbringer versuchen, den Familien bei der Suche nach unterstützenden Vereinen zu helfen, die zumindest einen Teil der Kosten übernehmen. Da nicht jede Familie einen Behandlungsplatz in einem der ausgewiesenen Zentren erhält, müssen die Eltern einen privaten EIBI-Anbieter suchen und die gesamten Kosten für die Intervention selbst tragen. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass trotz des jahrelangen Kampfes um eine angemessene Erstattung der hohen Kosten für EIBI und trotz verschiedener Gerichtsinitiativen die derzeitige Situation der Finanzierung der Frühförderung immer noch sehr unbefriedigend ist.

[...] Obwohl für eine eher kleine Zahl von Kindern und ihren Familien viel getan wurde, hat das Frühförderungsprojekt nicht die Wirkung erzielt, die wir uns in der Schweiz erhofft hatten.

[...] Da EIBI in den meisten Fällen nicht von den Krankenkassen oder der Regierung übernommen wird, haben andere Schweizer Zentren das Modell nicht übernommen. Es gibt in der Schweiz nur sehr wenige private Dienstleister, die Familien mit einem autistischen Kind betreuen, da die Eltern das Programm selbst bezahlen müssen.

[...] Darüber hinaus entsprechen die vom Schweizerischen Bundesamt für Sozialversicherungen definierten Richtlinien nicht den Anforderungen international anerkannter Richtlinien in Bezug auf die Qualifikation und Ausbildung von Experten, die ein EIBI-Programm betreuen, wie sie vom Behavior Analysis Certification Board (BACB) festgelegt und in den Praxisrichtlinien für ABA und die Behandlung von ASD (BACB) definiert wurden, die für Kostenträger entwickelt wurden, um ihre Standards festzulegen.

[...] Auch in der Schweiz wäre es sinnvoller, Richtlinien für die Betreuung nach diesen internationalen Richtlinien festzulegen. Trotz der Veränderungen in den letzten zehn Jahren bedeutet die Behandlung eines Kindes mit Autismus in der Schweiz für die Eltern immer noch einen ständigen Kampf auf allen Ebenen. In Bezug auf die Verbreitung und Verfügbarkeit hat sich wenig geändert. (Studer et al., 2017)

Referenzen

Studer, N., Gundelfinger, R., Schenker, T., & Steinhausen, H. (2017). Implementierung der frühen intensiven Verhaltensintervention für Kinder mit Autismus in der Schweiz. BMC Psychiatry, 17(1). doi: 10.1186/s12888-017-1195-4